Slow Food mit Schuss

Slow Food mit Schuss

Auf der Jagd nach dem guten Geschmack

Interview in der SVZ vom 15.12.2012 mit unseren Küchenchefs Lars Degner und Thorsten Falk

Bleischwer bettet sich die Dämmerung auf Wald und Wiese. Der Blick des Jägers schweift durchs Dunkel. Sein Atemhauch mischt sich mit Nebel. Die Kälte kriecht unter die Kleidung. Thorsten Falk reibt sich die Hände. Auf dem Hochsitz harrt er aus. Er wartet auf die Chance zum Schuss. Dann plötzlich blitzt weißes Fell aus der Dunkelheit. Die Blume verrät das scheue Reh. Nichts ahnend sucht es zwischen Schnee und Eis nach Futter. Die Schwaden verschleiern die Sicht, doch langsam zeichnen sich die Umrisse des Wildes ab. Arglos läuft es aus dem Dickicht auf die Wiese, äst zwischen den letzten Halmen, die ihre Köpfe durch den Schneemantel recken. Ein Geräusch durchbricht die Stille. Das Reh ahnt die Gefahr, stellt die Ohren in den Wind und lauscht. Thorsten Falk hält den Atem an. Langsam legt er sich sein Gewehr an die Schulter. Im Auge des Jägers spiegelt sich das Abbild des grazilen Tieres. Stille. Nur sein Herzschlag klopft bis in die Ohren. Er schießt. Augenblicklich sackt das Reh zusammen und bleibt regungslos im Flockenbett liegen.

Falk setzt die Flinte ab und klettert vom Hochsitz. Langsam nähert er sich dem dunklen Leib auf weißem Schnee. Ein Blick in die Rehaugen verrät es: Jedes Leben ist erloschen. Falk kniet nieder vor dem Tier, hält inne. Dann setzt er das Messer an, schneidet den Rehbauch auf. Warm ergießt sich das Blut über seine Hände, rinnt in den jungfräulichen Schnee. Mit geübten Griffen weidet der Jäger die Beute aus. Den leblosen Körper trägt er zum Auto, das abseits am Feldrand parkt. Er wuchtet das Tier in den Kofferraum. Genug für heute Abend. Der Jäger verlässt sein Revier. Thorsten Falk ist auf der Jagd – nach Reh und Wildschwein, nach dem Geschmack Mecklenburgs.

In seinem Revier nahe Sandhof geht der Jäger regelmäßig auf die Pirsch. Eigentlich ist Thorsten Falk Koch, bewirtet seine Gäste im Restaurant „Lenzer Krug“. Doch um Gourmets besondere Menüs zu bieten, tauscht er Herd gegen Hochsitz. In seinem Revier lebt der Nachschub für die Küche. Seit 2005 hat Falk den Jagdschein, seit 2006 nimmt er das Wild ins Visier. Dafür braucht er vor allem eines: Geduld. „Es ist nicht wie im Supermarkt. Von zehn Tagen ist man an vielleicht ein oder zwei erfolgreich“, sagt der Plauer. Doch das Warten kommt dem Gastronomen gerade recht. Jagen, das ist für ihn weit mehr als ein Beutezug. Es ist eine Auszeit – in der Natur, weitab von Stress und Alltagstrubel. Eine Auszeit mit Schuss. „Ich lasse mich ein bisschen durchpusten und mir viele Dinge durch den Kopf gehen“, sagt Falk. Als Gastronom bleibe nicht viel Zeit für Hobbys. Da komme das Jagen gelegen. Schließlich könne er dafür selbst die frühen Morgenstunden oder die Zeit der Dämmerung nutzen.

Aller Naturidylle zum Trotz: Die Anspannung bleibt. „Wenn ein Wildschwein des Weges kommt, dann unterbreche ich die besinnliche Ruhe“, sagt Thorsten Falk und lacht. Aus Entspannung wird Anspannung. Sekundenschnell. Der Adrenalinspiegel steigt. Der Puls rast. „Das Jagen hat Abenteuercharakter“, sagt Falk. Vor allem Wildschweine nimmt er gern ins Visier. „Schwarzwild ist das spannendste. Da passiert richtig was. Rehwild ist einfach. Das denkt sich nichts Böses. Wenn es bumm macht, liegt es auch schon unten. Die fallen selbst, wenn man daneben schießt. Wildschweine sind wehrhafter. Auch wenn man sie mitten ins Herz trifft, laufen die noch hundert Meter“, sagt der Jäger. Klischees vom rumballernden Trophäenjäger will er jedoch nicht gelten lassen. „Die größten Natur- und Wildschützer sind die Jäger„, sagt Falk entschlossen. „Klar, schießt man auch schonmal einen jungen Hirsch, aber Waidmannswerk ist die Regulierung der Bestände.“ Jäger sieben kranke und verletzte Tiere aus, ersetzen fehlende natürliche Feinde. Hege und Pflege – dieses Gebot stehe weit vor dem Schuss. Respekt vor dem Leben und der Natur – das ist für Falk untrennbar mit dem Jagen verbunden. „Als ich zum ersten Mal ein Tier erlegt habe, war ich aufgeregt und stolz. Aber mein Herz hat auch gebibbert. Ich hab gemerkt, dass ich gerade ein Leben zerstört hab“, sagt Falk. Doch er weiß: Die Selektion von Jägerhand ist wichtig, um den Wildbestand gesund zu halten.

Von Gewissensbissen lässt er sich auch das Geschmackserlebnis nicht trüben. „Wenn Wild geschossen wird, kommt’s in die Küche“, sagt Falk. Seine Frischware landet auf den Tellern des Plauer Seehotels. Hier verwöhnt Koch Lars Degner Gourmets mit Wildroulade und Rehrücken. In seinen Töpfe und Pfannen brodelt nicht nur Falk-eigenes Wild. Ist die Jagd nicht von Erfolg gekrönt, setzt sein Wildlieferant auf fremde Beute. Von Jagdkollegen bekommt Thorsten Falk Frischfleisch frei Haus. Auf die Pirsch aber, da geht der Plauer am liebsten allein. „Jagen ist ein Einzelsport“, sagt Falk. Auf Verstärkung greift er dennoch gern zurück: Bei einem befreundeten Jäger ruht sein erlegtes Wild im Zerlegeraum. Abhängen für den guten Geschmack. „Nur so kann es sich entwickeln“, sagt Falk. Nach ein paar Tagen wird das Tier gehäutet. „Wir Jäger nennen das ,das Reh aus der Decke schlagen“, sagt Falk. Erst wenn das Reh feinsäuberlich zerstückelt ist, kommt es in die Seehotel-Küche. „Es ist schließlich sein ganzes Leben durch den Wald gesprungen und ich weiß nicht, wo es war“, sagt Lars Degner. Die Fleischbatzen lassen kaum mehr das Bild vom grazilen Rehlein zu. Nur ein Einschussloch erinnert an das blutige Ende der Jagd. „Dort, wo der Schuss durchgegangen ist, schneide ich großzügig drumherum. Ich will ja keine Knochensplitter im Fleisch“, sagt Degner. Mit spitzem Messer und scharfen Schnitten löst er die Knochen aus dem Fleisch, und setzt aus ihnen Brühe an. Die Keule wird zum Gulasch. Sorgsam trennt der Koch die Sehnen ab. „Alles, was man gut in den Topf gibt, kann man auch gut wieder rausholen“, sagt er. Das Sahnestück liegt auf dem Küchenbrett: Saftig glänzt der Rehrücken. Nicht ein einziger Fettstreifen durchzieht das Dunkelrot. Lars Degner portioniert das Fleisch und wickelt es in Speckmäntel. „Das ist das wertvollste und zarteste Stück vom Reh. Ich bardiere es, damit es nicht austrocknet.“ Er legt die Stücke in die Pfanne. In knisternd siedendem Fett bruzzelt der Speck. Die Hitze schließt die Wildfleischporen. Röstaroma steigt aus der Pfanne. „Ich brat das Fleisch nur an. Im Ofen zieh ich es auf Temperatur“, sagt Degner. Letzteres wird zur Geduldsprobe: Im Konvektomaten gart das Reh – bei 58 Grad Kerntemperatur. Eine dreiviertel Stunde gönnt der Koch seinem Gericht. „Ich geb dem Fleisch die Zeit, sich zu entwickeln – in Ruhe und entspannt. So wird es klassisch medium“, sagt Degner. Das Niedrigtemperaturgaren macht das Fleisch saftig statt zäh. Degner holt das Wild aus der Röhre und schneidet es durch. Das Fleisch glänzt rosa. Saft ergießt sich auf das Schneidebrett. „Das ist kein Blut, wie viele denken. Das ist Bratensaft. Trotzdem wollen viele Gäste ihr Fleisch lieber grau“, sagt Thorsten Falk. Er selbst zieht die Medium-Variante vor. „Ich liebe rosa gebratenen Rehrücken. Und ich sterbe für Dammwildrouladen. Wenn ich wählen müsste, würd ich die Roulade nehmen. Aber ich esse viel zu gern, um mich für ein Gericht zu entscheiden“, sagt er und lacht.

Gerichte mit wilder Note, die stehen auch bei Lars Degners Gästen hoch im Kurs. „Nur wenige holen sich Wild direkt vom Jäger. Deshalb bestellen sie es gern bei uns“, sagt der Koch. Vor allem, weil es so gesund sei, werde das Fleisch geschätzt. „Wild ist das Natürlichste, was es gibt, kommt nicht aus großen Ställen“, sagt Degner. „In Ställen macht man sich viel Mühe, die Tiere mit Hilfe der Pharamindustrie großzukriegen. An einem Reh ist keiner vorbeigekommen und hat ihm eine Spritze gegeben“, sagt Thorsten Falk. „Wild ist hundert Prozent Bio. Nur bekommt es kein Siegel, weil man nicht nachweisen kann, was es gefressen hat.“

Regionale Produkte, schonend zubereitet – Slow Food, wie sich die Essart nennt, ist in. „Das ist der Trend bei unseren Gäste: Regional toppt sogar Bio„, sagt Lars Degner. Der Koch setzt auf Produkte aus heimischen Seen und Wäldern. Auch Thorsten Falk schätzt die Regional-Note. „Ich kann meinen Gästen sagen: Da, wo die Draisine langfährt, da kommt euer Rehrücken her. Das macht das Essen erlebbar“, sagt er. Zudem sind Frische und Qualität garantiert. Auslandsimporte kommen Lars Degner nicht in den Topf. „Wir verarbeiten viel, was regionalen Bezug hat: Fische von den Müritzfischern, Produkte vom Gemüsemann, Wild aus unseren Wäldern“, sagt der Koch. Saisonal ist erste Wahl. Doch es gibt auch Grenzen. „Wir schieben eine Kapazität durch, wo es keinen Sinn macht, jeden Tag zum Biobauern zu fahren. Wir kaufen im Großhandel“, sagt Degner. Regional-Anbietern fehle das Netzwerk. Köche müssten noch immer von Gehöft zu Gehöft fahren, um alle Zutaten für die Speisekarte zu finden, bedauert der Koch. „Der eine Bauer hat nur Pastinaken, der andere die Kartoffeln und keiner kann liefern. Das ist die Schwierigkeit.“

Die nächste Wildlieferung macht hingegen keine Probleme. Thorsten Falk wird es schon bald wieder vom Herd auf den Hochsitz ziehen. Auf der Jagd nach dem Geschmack Mecklenburgs. Auf der Jagd nach Slow Food mit Schuss.

Quelle: Schweriner Volkszeitung
Text und Bilder: Antje Bernstein
Den ganzen Artikel wie gedruckt gibt es hier Slow Food mit Schuss als .pdf (830kb)

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